Welcher Mensch wird sich vermessen, die Ethik der Bergpredigt, etwa den Satz: „Widerstehe nicht dem Übel“ oder das Bild von der einen und der anderen Backe, „wissenschaftlich widerlegen“ zu wollen? Und doch ist klar: es ist, innerweltlich angesehen, eine Ethik der Würdelosigkeit, die hier gepredigt wird: man hat zu wählen zwischen der religiösen Würde, die diese Ethik bringt, und der Manneswürde, die etwas ganz anderes predigt: „Widerstehe dem Übel,—sonst bist du für seine Übergewalt mitverantwortlich.“ Je nach der letzten Stellungnahme ist für den Einzelnen das eine der Teufel und das andere der Gott, und der Einzelne hat sich zu entscheiden, welches für ihn der Gott und welches der Teufel ist. Und so geht es durch alle Ordnungen des Lebens hindurch.
What man will take upon himself the attempt to “refute scientifically” the ethic of the Sermon on the Mount? For instance, the proposition, “Resist no evil” or the image of turning the other cheek? And yet it is clear, from a worldly perspective, that an ethic of indignity is being preached here; one has to choose between the religious dignity that this ethic confers and the dignity of manly conduct that preaches something quite different: “Resist evil, lest you be jointly responsible for its empire.” According to our ultimate standpoint, the one is of the devil and the other of God, and the individual has to decide, which for him is God, and which is the devil. And so it goes through all the orders of life.
Befreien wir es aber zunächst von einer ganz trivialen Verfälschung. Es kann nämlich zunächst die Ethik auftreten in einer sittlich höchst fatalen Rolle. Nehmen wir Beispiele. Sie werden selten finden, daß ein Mann, dessen Liebe sich von einer Frau ab- und einer andern zuwendet, nicht das Bedürfnis empfindet, dies dadurch vor sich selbst zu legitimieren, daß er sagt: sie war meiner Liebe nicht wert, oder sie hat mich enttäuscht, oder was dergleichen „Gründe“ mehr sind. Eine Unritterlichkeit, die zu dem schlichten Schicksal: daß er sie nicht mehr liebt, und daß die Frau das tragen muß, in tiefer Unritterlichkeit sich eine „Legitimität“ hinzudichtet, kraft deren er für sich ein Recht in Anspruch nimmt und zu dem Unglück noch das Unrecht auf sie zu wälzen trachtet. Ganz ebenso verfährt der erfolgreiche erotische Konkurrent: der Gegner muß der wertlosere sein, sonst wäre er nicht unterlegen. Nichts anderes ist es aber selbstverständlich, wenn nach irgendeinem siegreichen Krieg der Sieger in würdeloser Rechthaberei beansprucht: ich siegte, denn ich hatte recht. Oder, wenn jemand unter den Fürchterlichkeiten des Krieges seelisch zusammenbricht und nun, anstatt schlicht zu sagen: es war eben zu viel, jetzt das Bedürfnis empfindet, seine Kriegsmüdigkeit vor sich selbst zu legitimieren, indem er die Empfindung substituiert: ich konnte das deshalb nicht ertragen, weil ich für eine sittlich schlechte Sache fechten mußte. Und ebenso bei dem im Kriege Besiegten. Statt nach alter Weiber Art nach einem Kriege nach dem „Schuldigen“ zu suchen,—wo doch die Struktur der Gesellschaft den Krieg erzeugte—, wird jede männliche und herbe Haltung dem Feinde sagen: „Wir verloren den Krieg—ihr habt ihn gewonnen. Das ist nun erledigt: nun laßt uns darüber reden, welche Konsequenzen zu ziehen sind entsprechend den sachlichen Interessen, die im Spiel waren, und—die Hauptsache—angesichts der Verantwortung vor der
Zukunft, die vor allem den Sieger belastet.“ Alles andere ist würdelos und rächt sich. Verletzung ihrer Interessen verzeiht eine Nation, nicht aber Verletzung ihrer Ehre, am wenigsten eine solche durch pfäffische Rechthaberei. Jedes neue Dokument, das nach Jahrzehnten ans Licht kommt, läßt das würdelose Gezeter, den Haß und Zorn wieder aufleben, statt daß der Krieg mit seinem Ende wenigstens sittlich begraben würde. Das ist nur durch Sachlichkeit und Ritterlichkeit, vor allem nur: durch
Würde möglich. Nie aber durch eine „Ethik“, die in Wahrheit eine Würdelosigkeit beider Seiten bedeutet. Anstatt sich um das zu kümmern, was den Politiker angeht: die Zukunft und die Verantwortung vor ihr, befaßt sie sich mit politisch sterilen, weil unaustragbaren Fragen der Schuld in der Vergangenheit. Dies zu tun, ist politische Schuld, wenn es irgendeine gibt. Und dabei wird überdies die unvermeidliche Verfälschung des ganzen Problems durch sehr materielle Interessen übersehen: Interessen des Siegers am höchstmöglichen Gewinn—moralischen und materiellen—, Hoffnungen des Besiegten darauf, durch Schuldbekenntnisse Vorteile einzuhandeln: wenn es irgend etwas gibt, was „gemein“ ist, dann dies, und das ist die Folge dieser Art von Benutzung der „Ethik“ als Mittel des „Rechthabens“.
First, let us free ourselves from a quite trivial falsification, that ethics may first arise in a role that is highly compromised morally. Let us consider examples. Rarely will you find that a man whose love turns from one woman to another feels no need to legitimate this before himself by saying: she was not worthy of my love, or, she has disappointed me, or whatever other like “reasons” exist. This is an attitude that, with a profound lack of chivalry, adds a fancied “legitimacy” to the plain fact that he no longer loves her and that the woman has to bear it. By virtue of this “legitimation”, the man claims a right for himself and besides causing the misfortune seeks to put her in the wrong. Likewise, for the successful amatory competitor, the adversary must be less worthy, otherwise he would not have lost out. It is no different, of course, if after a victorious war the victor in undignified self-righteousness claims, “I have won because I was right”. Or, if somebody under the frightfulness of war collapses psychologically, and instead of simply saying it was just too much, he feels the need of legitimizing his war weariness to himself by substituting the feeling, “I could not bear it because I had to fight for a morally bad cause”. And likewise with the defeated in war. Instead of searching like old women for the “guilty one” after the war—given a situation wherein the structure of society produced the war—everyone with a manly and controlled attitude would tell the enemy: “We lost the war. You have won it. That is now all over. Now let us discuss what conclusions must be drawn according to the
objective interests that came into play, and what is the main thing in view of the responsibility towards the
future that above all burdens the victor.” Anything else is undignified and will rebound. A nation forgives if its interests have been damaged, but no nation forgives if its honor has been offended, especially by a bigoted self-righteousness. Every new document that comes to light after decades revives the undignified lamentations, the hatred and scorn, instead of allowing the war at its end to be buried, at least morally. This is possible only through objectivity and chivalry and above all only through dignity. But never is it possible through an “ethic”, which in truth signifies a lack of dignity on both sides. Instead of being concerned with what the politician is interested in, the future and the responsibility towards the future, this ethic is concerned with politically sterile questions of past guilt, which are not to be settled politically. To act in this way is politically guilty, if such guilt exists at all. And it overlooks the unavoidable falsification of the whole problem, through very material interests: namely, the victor's interest in the greatest possible moral and material gain; the hopes of the defeated to trade in advantages through confessions of guilt. If anything is “vulgar”, then, this is, and it is the result of this fashion of exploiting “ethics” as a means of “being in the right”.